Kritik der reinen Toleranz

von Henryk M. Broder

Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt, so sagte Thomas Mann bereits. Heute dagegen, so findet Henryk M. Broder in seinem neuen Traktat Kritik der reinen Toleranz", tolerieren wir uns langfristig zu Tode. Einfach weil es bequemer ist oder weil wir uns nicht mehr trauen, berechtigte kollektive Interessen zu formulieren und durchzu-setzen.

Heutzutage nehmen wir legitime Rechte nicht mehr wahr, fordern ihre Achtung nicht mehr ein oder sehen sogar bewußt über Fakten und Handlungen hinweg, indem wir sie als zu tolerierend" einstufen. Grenzen werden nicht mehr gesetzt und gesetzte nicht mehr durchgesetzt. Broder kommt in seinem Buch zum Schluß, die Toleranz sei die Fortsetzung der Ratlosigkeit mit anderen Mitteln. In den Städten "tolerieren" wir inzwischen national befreite Zonen" und No-Go-Areas", in denen glatzköpfige Ureinwohner oder Unterpriviligierte mit Migrationshintergrund das Sagen haben und in denen sich sogar Polizeikräfte nicht mehr blicken lassen. Ähnliches geschieht seiner Ansicht nach in der Weltpolitik: Beispielsweise kneifen wir regelmäßig vor beleidigten Moslems, meistens schon sehr präventiv, statt für unsere Lebens- und Glaubensweise auch Toleranz einzufordern. Vielmehr entschuldigen wir uns schon mal für sie, falls sie den anderen nicht passen sollte.

Unterhaltend, aber bissig schlußfolgernd, stellt Broder das heutige Toleranzverständnis in 13 Kapiteln an aktuellen Beispielen und Geschehnissen dar. Bekannt sprachgewaltig, manchmal erfrischend politisch unkorrekt, aber mit nachvollziehbarer Logik, rückt er unserem lethargisierenden modernen Toleranzverständnis zu Leibe und versucht, die Toleranz" wieder zu dem zu machen, was sie früher einmal war: Ein gegenseitiges Achten von Menschen, deren Unterschiedlichkeiten und Rechte, aber auch die folgerichtige Konsequenz der Einforderung dieses Achtens. Broders Fazit: Duckmäuser sind nicht tolerant, sie sind ängstlich. Und so sei dieses Buch allen empfohlen, die sich noch nicht zur Untätigkeit toleriert haben - ganz besonders aber jenen, die persönliche oder öffentliche Entscheidungen treffen müssen und wollen.

Kritik der reinen Toleranz, Henryk M. Broder
Gebunden, WJS-Verlag, 214 Seiten
ISBN: 978-3-937989-41-9, 18 Euro.

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