Die Zunge Europas

von Heinz Strunk

Markus Erdmann ist eine arme Sau: Tagein, tagaus muss er für minderbemittelte Komiker noch schlechtere Witze schreiben. Und zu allem Überfluss läuft auch im privaten Leben nichts mehr – seine Langzeitfreundin reizt ihn überhaupt nicht mehr und eine neue Flamme ist auch nicht in Sicht. Markus ist eher der Typ „In der Disco auf die Handtasche Aufpasser“. Doch dieser unscheinbare Mensch ist die zentrale Figur in Heinz Strunks neuem Roman „Die Zunge Europas“.

Der Leser begleitet den Hamburger Loser Erdmann eine Sommerwoche durch sein langweiliges Leben und nimmt teil an der Tristesse: sonntäglicher Besuch bei Mutti, ereignislose Fernsehabende zuhause, Selbstzweifel. Doch irgendwo gibt es auch für den „alten Topf“ Markus Erdmann den passenden Deckel und den Weg zum Glück.

Heinz „Heinzer“ Strunk meldet sich mit „Die Zunge Europas“ zurück an der literarischen Front.
Nach „Fleisch ist mein Gemüse“ ist auch das neue Werk gespickt mit seiner genialen und schonungslosen Analyse von Charakteren. Der Kneipier mit dem mimiklosen Gesicht wird so zu „Fantomas“ und der türkische Rapper im weißen Nike-Trainingsanzug trägt „Schmuck aus der Asservatenkammer“. Gekonnt spielt Strunk mit den Klischees und beschreibt Alltagssituationen so präzise und pointiert, dass man mehr als nur einmal schmunzeln oder gar laut lachen muss. So wird sogar ein Buch über einen Versager zur puren Unterhaltung.

Die Zunge Europas, Heinz Strunk
Gebunden, Rowohlt, 320 Seiten
ISBN: 978-3-49806-398-6, 19,90 Euro.

Kritik der reinen Toleranz

von Henryk M. Broder

Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt, so sagte Thomas Mann bereits. Heute dagegen, so findet Henryk M. Broder in seinem neuen Traktat Kritik der reinen Toleranz", tolerieren wir uns langfristig zu Tode. Einfach weil es bequemer ist oder weil wir uns nicht mehr trauen, berechtigte kollektive Interessen zu formulieren und durchzu-setzen.

Heutzutage nehmen wir legitime Rechte nicht mehr wahr, fordern ihre Achtung nicht mehr ein oder sehen sogar bewußt über Fakten und Handlungen hinweg, indem wir sie als zu tolerierend" einstufen. Grenzen werden nicht mehr gesetzt und gesetzte nicht mehr durchgesetzt. Broder kommt in seinem Buch zum Schluß, die Toleranz sei die Fortsetzung der Ratlosigkeit mit anderen Mitteln. In den Städten "tolerieren" wir inzwischen national befreite Zonen" und No-Go-Areas", in denen glatzköpfige Ureinwohner oder Unterpriviligierte mit Migrationshintergrund das Sagen haben und in denen sich sogar Polizeikräfte nicht mehr blicken lassen. Ähnliches geschieht seiner Ansicht nach in der Weltpolitik: Beispielsweise kneifen wir regelmäßig vor beleidigten Moslems, meistens schon sehr präventiv, statt für unsere Lebens- und Glaubensweise auch Toleranz einzufordern. Vielmehr entschuldigen wir uns schon mal für sie, falls sie den anderen nicht passen sollte.

Unterhaltend, aber bissig schlußfolgernd, stellt Broder das heutige Toleranzverständnis in 13 Kapiteln an aktuellen Beispielen und Geschehnissen dar. Bekannt sprachgewaltig, manchmal erfrischend politisch unkorrekt, aber mit nachvollziehbarer Logik, rückt er unserem lethargisierenden modernen Toleranzverständnis zu Leibe und versucht, die Toleranz" wieder zu dem zu machen, was sie früher einmal war: Ein gegenseitiges Achten von Menschen, deren Unterschiedlichkeiten und Rechte, aber auch die folgerichtige Konsequenz der Einforderung dieses Achtens. Broders Fazit: Duckmäuser sind nicht tolerant, sie sind ängstlich. Und so sei dieses Buch allen empfohlen, die sich noch nicht zur Untätigkeit toleriert haben - ganz besonders aber jenen, die persönliche oder öffentliche Entscheidungen treffen müssen und wollen.

Kritik der reinen Toleranz, Henryk M. Broder
Gebunden, WJS-Verlag, 214 Seiten
ISBN: 978-3-937989-41-9, 18 Euro.

Fucking Berlin

von Sonia Rossi

fuckingberlinEigentlich wollte die gebürtige Sizilianerin Sonia Rossi nur nach Berlin kommen, um Mathematik zu studieren - und natürlich, um aus der Enge des kleinen italienischen Dorfes zu entkommen, in dem sie seit ihrer Geburt lebt. Ihr Vater betreibt im Dorf ein kleines Hotel, ihre Mutter jobt als Bibliothekarin. Somit hat die junge Sonia nicht allzu viel Geld zur Verfügung und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Das erste Jahr in der deutschen Hauptstadt soll eh dazu da sein, um die fremde Sprache richtig zu lernen. Aber es soll alles ganz anders kommen, als gedacht.

Schnell gerät Rossi in die falschen Kreise: Sie tanzt sich nachts durch diverse Szeneclubs und begegnet schließlich dem Polen Ladja und verliebt sich in ihn. Als sie erfährt, dass er für Geld mit Männern ins Bett geht, wird ihre Beziehung zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt - am Ende hört er ihr zuliebe damit auf. Doch Sonia kann sich nie lange genug in einem Beruf halten und kommt bald selbst in Finanznöte. Ohne ihrem Freund davon zu erzählen, fängt sie schließlich bei einer Erotik-Webcam-Show an. Doch auch da kann sie sich nicht lange halten, es folgt ein Job in einem Puff, der Sex-Massagen anbietet. Aber das ist noch lange nicht das Ende von Sonia Rossis zwielichtiger Karriere, in der sie auch Platz für ihr Studium finden muss. Erschwerend kommt hinzu, dass sie niemandem von ihrem Doppelleben erzählen kann. Schon gar nicht ihrem Freund.

Unverblümt gibt Sonia Rossi als Ich-Erzählerin einen Einblick in ihr ehemaliges Leben als Studentin und Teilzeit-Hure in Berlin. Offen und ehrlich schildert sie ihre Erlebnisse in der Rotlichtbranche. Dabei gelingt es ihr, niemanden zu verurteilen. Die Kunden leben eben nur ihre Phantasien aus und die Kolleginnen tun eben nur ihren Job. Vielmehr liest sich ihr Buch „Fucking Berlin" als eine Art Biografie, die nachvollziehbar macht, warum Rossi so handelte, wie sie handelte. An manchen Stellen gleitet die Erzählweise aber auch ins Flache ab. Dann wirken die Passagen wie eine aufgesetzte Schilderung, die mehr von einer fiktiven Geschichte denn von einem autobiografischen Werk hat. Alles in allem ist „Fucking Berlin" aber ein ohne Verurteilungen verfasstes Buch, das einen lesenswerten Einblick in die Welt des Rotlichtmilieus bietet.

Fucking Berlin, Sonia Rossi
Taschenbuch, Ullstein, 288 Seiten
ISBN: 978-3-54837-264-8, 8,95 Euro.